Vor 75 Jahren wurden kurz vor Ende des 2. Weltkrieges große Teile der Donauwörther Innenstadt durch Bombardierungen zerstört. Über die Planungen für den Wiederaufbau erschien im Dezember 1946 in der Zeitschrift Baumeister ein Fachbeitrag des Architektes Helmut Prechter.

Mit dem freundlichem Einverständnis der Zeitschrift Baumeister und Frau Prof. Bü Prechter kann dieser Artikel hier nachgelesen werden.

aus Baumeister, 43. Jahrgang, Heft 6, Dezember 1946, Seite 142-144

 

 


Die Reichsstraße in Donauwörth vor der Zerstörung
Mit Ausnahme der Stadtpfarrkirche blieb kein einziges der hier abgebildeten Gebäude stehen. Der bis jetzt fertiggestellte Entwurf zum Wiederaufbau der Reichsstraße (Tafel 31-34) umfaßt die gesamte südliche Straßenseite (auf dem Bild links) bis zum Chor der Pfarrkirche.

 

 

Donauwörth

Beispiel einer Planung für den Wiederaufbau

Von Hellmut Prechter

Die ehrwürdigen Mauern von Donauwörth, der ehemals freien Reichsstadt über dem Zusammenfluß von Donau und Wörnitz, haben viele Kriege gesehen und verspürt; und doch war dieses Kleinod durch den Wandel der stilgebundenen Zeiten als bauliches Meisterstück und eine Stätte echt bürgerlicher Wohlhabenheit guterhalten bis auf uns gekommen. Riehl zählte es zu den bewunderungswürdigsten Anlagen Süddeutschlands, Thiersch war von seiner Geschlossenheit tief beeindruckt. Erst die letzten Wochen des unheilvollen letzten Krieges rissen schwere Wunden in diesen wohlabgewogenen Organismus. Die Reichsstraße, der städtebauliche Mittelpunkt, wurde zu gut zwei Dritteln zerstört, die östliche Vorstadt ist ausgebrannt, das historische Tanzhaus, in dem Kaiser Maximilian I. einst ein prunkvolles Fest gegeben hatte, ist nicht mehr, und über die Hälfte allen Wohnraums ist vernichtet. – Nach Monaten einer baulichen Lähmung haben sich nun in nachahmenswerter Weise Fachkräfte zusammengefunden, die Stadt wieder zu neuem Leben zu wecken: ihr das bauliche Kernstück wieder zu geben und draußen vor den Toren den Wohnraum zu ersetzen, der in den Trümmern des Stadtinnern verloren ging.

Schon vor Jahren und ohne Zusammenhang mit dem Krieg wurden zur Verbesserung bestehender baulicher und verkehrstechnischer Verhältnisse verschiedene Planungen notwendig. Der Durchgangsverkehr, der ausschließlich die Altstadt belastete, sollte um die Stadt geführt werden. Dieses Vorhaben wurde bei einer Umgehung im Osten durch die ständige Rutschgefahr des Schellenberges erschwert, an dessen Fuß die Straße sonst vorgesehen worden wäre; im Westen stand jedoch das ausgedehnte Überschwemmungsgebiet von Donau und Wörnitz einer wirtschaftlich tragbaren Ausführung entgegen. Schwierigkeiten gab es bei Projekten einer Kanalisierung der Donau, ebenso bei einer Erweiterung oder Verlegung der Bahnanlagen. Die in einem gebilligten Wirtschaftsplan zusammengefaßten Möglichkeiten und Lösungen standen nun beim Beginn der erneut erforderlichen Planung zur Verfügung, gleichzeitig war ihre Notwendigkeit für die heutige Zeit zu prüfen.  Nachdem diese großen Projekte ihres erheblichen Aufwandes wegen für eine absehbare Zukunft undurchführbar sein werden, muß der Durchgangsverkehr unter Ausnützung einiger Verbesserungsmöglichkeiten weiterhin den alten Zug durch die Stadt beibehalten. Hier steht nun der Wiederaufbau der Hauptverkehrs- und Geschäftsstraße, der Reichsstraße, die gleichzeitig in ihrer fast platzartigen Anlage städtebaulicher Mittelpunkt von Donauwörth ist, an erster Stelle.

                    
Aus der Reichsstraße in Donauwörth                                       Die Reichsstraße im Sommer 1946
Das Bild gibt einen wichtigen Abschnitt der nördlichen Straßenseite wieder. Die beider Empirehäuser links und das gotische Tanzhaus sind restlos verschwunden, nur vom ehemaligen Stadtkommandantenhaus aus der Zeit um 1550 (mit dem Walmdach) stehen noch die Umfassungen. Während letzteres Gebäude möglicherweise wieder hergestellt werden kann, ist das bei den vorderen Giebelhäusern ganz ausgeschlossen. Wo weder Mauern noch ausreichend Reste des Fassadenschmucks erhalten sind, könnte selbst bei sorgfältigster denkmalpflegerischer Planung doch nur eine höchst unvollkommene Kopie entstehen. Ein solches Vorhaben wäre jedoch ebenso sinnlos, als wenn man einen noch so befähigten Graphiker damit beauftragen wollte, aus dem Gedächtnis oder nach einzelnen Fotos ein Duplikat einer verbrannten Inkunabel oder Originalhandschrift anzufertigen.

 

Die Reichsstraße erstreckt sich über etwa 400 m Länger, sie wird räumlich in ihrem unteren Ende vom quergelegten neugotischen Rathausbau abgeschlossen und stieg, sich langsam verbreiternd, von Giebelhäusern verschiedenster Zeiten gesäumt, bis hinauf zur Stadtpfarrkirche. Dieser Straßenzug wird durch eine leichte Krümmung, die sich nach oben verstärkt, in seinem räumlichen Ausdruck gehoben; der Blick wird zum massigen, hochaufragenden, vierkantigen Turm der Kirche geführt, zu dem im Näherkommen der in die platzartige Erweiterung der Straße hineinragende hochgotische Chor der Kirche tritt. In zügigem Schwung weicht die Straße gegenüber der Kirchenanlage zurück, eine Gebäudegruppe fing diese Bewegung wieder auf, bis schließlich das mächtige, hochgieblige Fuggerhaus mit seinem Treppengiebel den endgültigen Abschluß bildet (Bild 1).

Diese Straße besteht nicht mehr. Lediglich der unterste Abschnitt um das Rathaus ist einigermaßen erhalten und die Pfarrkirche wenigstens in ihrem Eindruck geblieben und gesichert; das Fuggerhaus wird nach der fast vollendeten Wiederherstellung seine Funktion als Landratsamt und als Straßenabschluß wieder voll erfüllen. Die noch stehenden Mauerreste der stolzen Bürgerhäuser der Reichsstraße wurden inzwischen niedergelegt, das noch verwertbare Material an anderer Stelle verbaut, der Trümmerschutt beseitigt und das Gelände planiert. So entstand eine weite Leere bis zur Kirche, die den Geländeunterschied der Reichsstraße und die Höhendifferenz zur südlich benachbarten, parallel laufenden Kronengasse sichtbar zeigt, den früheren räumlichen Eindruck kaum noch ahnen läßt.

Bei der Wiederaufbauplanung des hier besonders behandelten südlichen, fast 200 m langen Teils der Reichsstraße wurde zuerst eine Abwicklung der Straßenansichten im Maßstab 1:100 aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und aufgezeichnet. Daraus entwickelte sich die grundsätzliche Entscheidung, ob eine völlig neuartige Gestaltung der Fassaden und damit der Gesamtbebauung tragbar oder richtig ist, oder ob dem Wesen nach die Reichsstraße ihr ursprüngliches Gesicht wieder erhalten soll. Nachdem Bruchstücke der Straße geblieben waren und die Reichsstraße in jeder Hinsicht das Herzstück Donauwörths auch weiterhin sein muß, schien unter weitgehender Verbesserung hygienischen, bautechnischen , verkehrsmäßigen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Wiederherstellung echter Giebelhäuser die einzige wirkliche Lösung zu sein.

Inzwischen wurde der Baulinienplan für dieses Gebiet erneuert, dabei die seitlichen Verbindungsgassen so erweitert, daß verkehrsmäßig günstigere Bedingungen geschaffen wurden, andererseits die räumlich geschlossene Wirkung der Straße unbedingt auch erhalten bleibt. Die wenigen, im Verlauf des Verfahrens erhobenen Einsprüche konnten in Güte beigelegt werden. Noch weittragender war die Durchführung eines Grundstückumlegungsverfahrens, welches ebenfalls auf gütlichem Wege und mit nachbarlicher Ausgleichung geregelt wurde. Festzustellen ist hierbei, daß einige Grundstückseigentümer auf einen Wiederaufbau an dieser Straßenflucht überhaupt verzichten mußten, um die Schaffung gesunder und breiterer Hauskörper zu ermöglichen. Einige der ehemals engbrüstigen Häuser hatten nur eine Breite von etwas über 6 m, während jetzt die Giebel 8-13 m messen. Erhebliche Einsparungen an Mauerwerk ergeben sich durch Ausführung von Kommunmauern, deren Kronen zur Aufnahme der Dachgebälke und der Regenrinnen in besonderer Form aus Eisenbeton vorgesehen sind. Eine hochgezogene Blechrinne entlang der gemeinsamen Traufe mit beiderseitiger Neigung  regelt den Wasserablauf und schützt vor Durchfeuchtung. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Belichtung der der eingebauten, 16-18 m tiefen Hauskörper dar. Sie wird erreicht durch 2 Lichtschächte je Haus, die 3-4 m2 Grundfläche besitzen und Treppenhaus, Abort und sonstige Nebenräume belichten und belüften. Die Lichtschächte beginnen über der hier mit einer Wasserschräge versehenen Erdgeschoßdecke; die Kommunmauer geht als Brandmauer zwischen zwei benachbarten Lichtschächten in voller Höhe durch.

Für die auf Tafel 31-34 gezeigte Reihe von 18 Häusern des alten Bestandes wurden 16 neue Häuser geplant. Dabei handelt es sich um reine Geschäftshäuser, die übereinstimmend dreigeschossig sind und eine ähnliche, sechsscheibige Fensterform besitzen. Die zeitgebundenen Sonderformen der hausfronten, besonders der Giebelumrandungen und Gesimse, müssen im allgemeinen durch einfachere Gliederung und schlichtere Profilgebung ersetzt werden. Einige besonders wertvolle Merkmale von im Wesen wieder ähnlich geplanten Häusern (Treppengiebel, Erker) wurden auch für die jetzige Planung als Bereicherung übernommen. Die örtliche bauhandwerkliche Tradition soll möglichst gepflegt werden und hat auch in einem bescheidenen Schmuck des Hauses durch Beschriftung, Beschilderung oder zurückhaltende Farbgebung ein dankbares Feld.


Wiederaufbau der Reichsstraße in Donauwörth. Querprofil zwischen Reichsstraße und Kronengasse
Der geschickt ausgenützte Geländeunterschied zwischen beiden Straßen ermöglicht gegebenfalls auch eine Teilunterkellerung der Hofflächen.

Die einzelnen Grundstücke an diesem Teil der Reichsstraße laufen allgemein zu der etwa 40 m entfernten und im Mittel 3 m tiefer liegenden Kronengasse durch. Der hinter den Hauptgebäuden der Reichsstraße entstehende Hofraum kann bis zu einem Viertel so überbaut werden, daß man von der Kronengasse ebenerdig einfahren kann und sich dann im Keller- und Lagergeschoß des Vorderhauses befindet. Die Kronengasse selbst wird durch eine halboffene Bebauung von zweigeschossigen Wohngebäuden besetzt werden können, dazwischen bleiben Einfahrten frei, die auch Zugang für die Feuerwehr sind. Neben einigen mit geringem Materialaufwand wiederherzustellenden kulturell hervorragenden Gebäuden und der Schaffung eines Zentralschulhauses im östlichen Baugebiet der Stadt ist die Erstellung von Wohnraum in größerem Umfang vordringlich. Hierbei ist das ausgebrannte, in fast allen Mauerteilen jedoch erhaltene ehemalige Kreishaus am Bahnhof zur Gewinnung von etwa 20 Wohnungen die nächstliegende Baumaßnahme. Als Quartiere für Neubauten wurden die städtischen Gelände nördlich vom Krankenhaus und besonders westlich der Berger Allee vorgesehen. Für letzteres ist ein Bebauungsvorschlag, der sich mit zweigeschossigen Gruppenhäusern erfreulich aus den richtungslosen und schematisch gesetzten Kleinbauten schon im Lageplan heraushebt, ausgearbeitet. Sowohl die grundrißliche Aufteilung mit verschieden großen Wohneinheiten und anschließendem Gartenland, wie auch die Durchgestaltung im einzelnen läßt ein Anknüpfen an die Leistungen älterer wertvoller Siedlungen erwarten (Tafel 37-38 rechts).

Die Gesamtplanung der Stadt wird von einem dafür geschaffenen Aufbaubüro, welches mit der Ortsplanungsstelle beim Regierungspräsidenten in enger Fühlung ist, geleitet. Für die Reichsstraße sind Reg.-Baumeister Kleinmaier und Architekt Aubele, für die Siedlungsbauten ist Architekt Pätzold, alle in Donauwörth, verantwortlich. Der erste Bauabschnitt der Reichsstraße mit den 5 unteren Häusern ist bereits in Angriff genommen und kommt wohl noch diesen Winter unter Dach.

      
Lageplan untere Reichsstraße und Planvorschlag Geschäftshäuser       Bebauungsvorschlag für westlich Berger Allee


               Tafel 31-34: Südliche Straßenseite: vor der Zerstörung und Entwurf
               Südliche Straßenseite Teil1                                                                     Südliche Straßenseite Teil 2