Auszug aus: Im alten Bayern; in: Kölnische Zeitung Nr. 499 vom 17. Juli 1922

 

                                                               

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Und weiter geht es stromauf. Das alte Neuburg mit seinem Herzogschloß im grünen Wipfelfrieden wird nur im Fluge berührt. Dann hält der Zug in Donauwörth, wo die Wörnitz von Norden her sich in die Donau ergießt. Man sollte von diesem Ort nur in leisen und zärtlichen Worten sprechen. Wie ein Volkslied aus ferner Vergangenheit berührt er die Seele des Wanderers, sobald er die Wörnitzbrücke erreicht hat. Wo ist man schon ähnlichem begegnet? Vielleicht bei Bildern von Schwind und anderen Romantikern, vielleicht auch nur seelisch, wenn man bei dämmerndem Abendlicht sich von Eichendorff ein paar klingende Verse vorsagen ließ. So still, so heimatlich-fromm, so durch und durch deutsch wirkt diese kleine Stadt auf ihrem Hügelrücken zwischen den Wassern. Ist es wohl nötig, daß ich von seiner Geschichte erzähle? Ich müßte, wollte ich dies, bis in das zehnte Jahrhundert zurück. Ich müßte berichten von dem Schicksal des Mangoldsteins, wo die Herren von Manegold saßen und später Kaiser Friedrich I. und Heinrich VI. gern ihre Tage verbrachten. Auch von der Schreckenstat des Herzogs Ludwig des Strengen wäre zu reden, der seine schuldlose Gattin Marie von Brabant aus Eifersucht hinrichten und ihre Hofdame Heilika vom Felsen der Burg in die Tiefe stürzen ließ. Und weiter flögen wie Schatten vorüber die Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs und das Ringen am nahen Schellenberg, wo Bayern und Franzosen von den Kaiserlichen unter Ludwig von Baden und Marlborough besiegt und die Stadt bis aufs Blut geplündert wurde. Wie aber kann man bei solchen Tragödien verweilen, wenn man durchs Rieder Tor die erste Straße betritt und nun der Zauber des Städtchens zu wirken beginnt? Da steht gleich rechts von der Straße das stattliche Deutschordenshaus mit seiner wappengeschmückten Front und den vielen Erinnerungen an die Ballei Franken des deutschen Ordens.  Hier war es auch, wo 1696 das später so berühmt gewordene Regiment der Wiener Hoch- und Deutschmeister errichtet und dem Prinzen Eugen von Savoyen auf der Donau zugeschickt wurde. Und weiter geht es die Straßen entlang. Dem schmucken Rathaus in später Gotik folgen am Eingang der Reichsstraße der alte Stadtzoll mit einer ehemaligen Trinkstube der Donauwörther Ratsherren, ein wenig weiter hinauf das Tanzhaus, wo Kaiser Maximilian einst mit der Gattin des Bürgermeisters Imhof den Festball der Bürger zu Ehren seines neugeborenen Enkels, des spätern Kaisers Karl V. eröffnete, und ganz am Ende der Straße das schöne Fuggerhaus vom Jahre 1505 als Sitz der kaiserlichen Pfleger. Überhaupt diese Reichsstraße! Im Glanz des späten Nachmittags liegt sie inmitten der  Stadt wie ein Königsgeschmeide, in dem die vielfach gezackten und gestaffelten, die geschweiften und steilen Giebel der Bürgerhäuser die schimmernden Perlen sind. An ihr steht auch die Stadtpfarrkirche mit dem wuchtigen Turm und der weithin hallenden „Pummerin“ im Glockenstuhl. Der derbe gotische Bau von 1407 wächst in dem etwas verdunkelten Mittelschiff steil auf; merkwürdig wirkt der Boden des Langhauses, der von Ost nach West fast einen Meter ansteigt, so daß auch der Beier im äußersten Winkel das Gotteshaus gut übersieht. Dann aber träumt man sich in die Stille des Klosters zum Heiligen Kreuz. Es liegt ganz draußen, wo die Donauauen beginnen und das Tal voller Vogellieder ist. Ein grün-überrieseltes Tor führt mich zunächst in den frühern Friedhof mit alten Kreuzen und Steinen. Kein Menschenlaut dringt in die Stille. Nur das Schlagen der Finken im dichten Haselbusch und das Flöten der Drossel vom First der Klosterkirche jubeln dem kommenden Abend zu. Wo ist denn die Welt des Lärmens, Streitens und Hassens? Ist es nun wirklich nicht, als schritte Freund Eichendorff mit uns über den knirschenden Kies und zeige gütig hinauf zu den Sängern:
                                               Und du willst, Menschenkind, der Zeit
                                               Verzagend unterliegen?
                                               Was ist dein kleines Erdenleid?
                                               Du mußt es überfliegen …
Die Stimmung hält an. Beim Eintritt in die Klosterkirche rauscht der Glanz der Stätte uns wie Musik entgegen. Alles ist Andacht und Frömmigkeit. Besonders die Seitenkapellen in ihrem strahlenden Barock sind Kunstwerke edelster Art. In diesem Gotteshaus, das ehedem den Benediktinern gehörte, ruht auch die ermordete Herzogin von Brabant in einem gitterumfriedeten Sarkophag. Die übrigen Klosterbauten sind heute im Besitz des Cassianeums, einer von Ludwig Auer ins Leben gerufenen Anstalt für katholische Jugenderziehung. Hier nun herrscht emsiges Leben von früh bis spät. Reiche Lehrmittel, vor allem eine ausgezeichnete, etwa achzigtausend Bände umfassende Bücherei und eine vortreffliche naturwissenschaftliche und graphische Sammlung stehen der Stiftung zur Verfügung. Neben dem Unterricht in den verschiedensten Schulfächern entfaltet die Anstalt auch eine umfassende praktische Tätigkeit durch Herstellung und Vertrieb von Zeitschriften, Büchern, Kalendern, Bilder und ähnlichem, womit die nicht unbeträchtlichen Kosten zum größten Teil bestritten werden.
Noch mancherlei ließe von Donauwörth sich erzählen. Den Rest des Tages verbringe ich auf dem Kalvarienberg bei der Stadt, wo die Kämpfer vom Schellenberg unter den Kreuzwegstationen seit zweihundert Jahren in Frieden ruhen. Auch den spärlichen Resten des Mangoldsteins vor der Stadtmauer und der Donau im Osten wird ein kurzer Besuch gegönnt. Die letzte Stunde gehört dem Museum im Rieder Tor an der Wörnitz. Um diese Sammlungen ist Donauwörth zu beneiden. Wie viele Städte können sich des Besitzes von kaiserlichen Urkunden rühmen, die, wie das Pergament Konrads II., neunhundert Jahre alt und mit dem Signum des Kaisers versehen sind? Dabneben findet man große und kleine Köstlichkeiten, Bilder der Stadt in alten Drucken, eine vortreffliche Darstellung der Schlacht am Schellenberg und nicht zuletzt viel Urväterhausrat, den reger Bürgersinn zusammengetragen hat. Blickt man aber aus einem der Turmfenster hinab auf die Wörnitz und in das Getümmel der alten und ältesten Häuser, dann rührt der Kleinstadtzauber noch einmal das Herz. Sind sie nicht besser daran, die hier in der Stille ihr Leben verbringen, als jene Millionen Menschen, die draußen drängen, hasten und kämpfen und doch nie zum Frieden kommen?

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Vielen Dank an das Historische Archiv der Stadt Köln für die freundliche Unterstützung!

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